Positive Potenziale heben: Transparenz und Empowerment als Basis für eine nachhaltige Datennutzungskultur

Transparenz in der Arbeitswelt ist ambivalent: Sie ermöglicht neue Formen der Kontrolle und Leistungssteuerung. Sie bietet aber auch Chancen, um Arbeit im Sinne der Menschen innovativer zu gestalten. Elisabeth Vogl, Soziologin am ISF München, wirbt dafür, beide Seiten zu betrachten. Im Rahmen des Betrieblichen Praxislaboratoriums analysiert sie, unter welchen Bedingungen es möglich wird, die positiven Potenziale von Transparenz zu heben und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Gestaltenden einer nachhaltigen Datennutzungskultur zu machen.

Jutta Witte: Frau Vogl, der Umgang mit Transparenz in der Arbeitswelt beschäftigt die Industrie- und Arbeitssoziologie schon lange. Wie verändert die Digitalisierung die Sicht auf das Thema?

Elisabeth Vogl: Ja, eigentlich hat das Thema in der Fachdisziplin schon immer eine Rolle gespielt. Im Fokus steht dabei Transparenz als „Unterseite“ von Herrschaft und Kontrolle. Mit der Digitalisierung gewinnt das Thema an Brisanz: Zum einen entstehen im Arbeitsprozess immer mehr Daten, die Rückschlüsse über die Arbeit der Beschäftigten erlauben; zum anderen machen aber auch teamzentrierte Arbeitsformen – Stichwort Agilität – die Arbeitswelt transparenter. Gerade weil wir es in der Arbeitswelt mit asymmetrischen Machtverhältnissen zu tun haben, stellt sich damit die Frage: Wer kann wie über die Daten verfügen? Denn daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen für Beschäftigte und die Gestaltung von Arbeit.

 

Beide Seiten von Transparenz im Blick

 

Wie nähern Sie sich dieser Frage an?

Elisabeth Vogl: Die neue Transparenz in der Arbeitswelt ist ambivalent. Zum einen entsteht mit der Datafizierung natürlich ein gewaltiger Hebel, den Unternehmen nutzen können, um Kontrolle und Leistungssteuerung rigider zu gestalten und den Zugriff auf die Arbeitskraft von Menschen zu erhöhen. Zum anderen entstehen aber auch neue Möglichkeiten, Arbeitsbedingungen substanziell zu verbessern. So ergeben sich beispielsweise durch das Teilen von Wissen und Erfahrungen für Beschäftigte neue Möglichkeiten, voneinander zu lernen und effizienter zusammenzuarbeiten. In der Praxis sind also ganz widersprüchliche Entwicklungstendenzen zu beobachten. Wir nehmen diese in den Blick. Dabei treibt uns als Arbeitssoziologen die Frage um, wie wir die neue Transparenz so gestalten können, dass die negativen Aspekte eingehegt und die positiven Potenziale nutzbar werden.

 

Transparenz im geschützten Raum gestalten

 

Viele Unternehmen haben mittlerweile regelrechte Datenschätze angehäuft. Wie gehen sie damit um?

Elisabeth Vogl: Unsere bisherigen Analysen weisen darauf hin, dass vor allem die Führungskräfte und das Management sich diese Daten zunutze machen, um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln oder Arbeitsprozesse zu rationalisieren. Am wenigsten aber nutzen die Beschäftigten selbst die neue Transparenz, um beispielsweise Arbeitsabläufe zu verbessern oder neue Formen des Lernens und Zusammenarbeitens zu erproben. Dies ist auf zwei Aspekte zurückzuführen: Erstens halten bislang nur wenige Vorreiter-Unternehmen gezielt Kapazitäten vor, um Arbeitsprozesse beständig zu innovieren. Zweitens gibt es in den meisten Organisationen auf der Arbeitsebene noch keine starke Datennutzungskultur.

 

Das war ja bislang auch bei Ihrem Praxispartner, der Software AG, so.

Elisabeth Vogl: Die Software AG ist ein gewachsenes Unternehmen mit etablierten Produkten, Kunden- und Sozialbeziehungen und kann auf eine lange Erfolgsgeschichte zurückblicken. Wie viele andere Unternehmen steht sie aktuell vor der Herausforderung, das Potenzial von Daten heben zu lernen – sei es für die Entwicklung neuer Produkte oder die Innovation von Arbeitsprozessen und Organisationsstrukturen. Es ist spannend, diesen Transformationsprozess zu unterstützen. Das Betriebliche Praxislaboratorium, das gerade bei der Software AG läuft, bietet vor allem Beschäftigten einen geschützten Raum, in dem sie sich erstmals intensiv mit dem Thema Transparenz auseinandersetzen und den Umgang mit „ihren“ Arbeitsdaten im Unternehmen aktiv mitgestalten können.

 

Herausforderung Data Empowerment

 

Sie wollen in diesem Lab das Konzept der Inversen Transparenz in die betriebliche Praxis übertragen. Auf welche Herausforderungen stoßen Sie dabei?

Elisabeth Vogl: Inverse Transparenz macht sichtbar, wer die Daten aus Arbeitsprozessen nutzt und zu welchem Zweck. Mit dem Prinzip „Watch the watcher“ wird gewissermaßen die „Blackbox“ der Datenverwendung ein Stückweit geöffnet. Folgenreich ist dies insbesondere für Führungskräfte, weil ihr Umgang mit Arbeitsdaten potenziell neu hinterfragt werden kann und zum Teil auch ihre Wissensmonopole aufgebrochen werden. Inverse Transparenz darf von ihnen aber nicht als Bedrohung empfunden werden; stattdessen muss sie als Chance erlebbar werden, Vertrauen zu schaffen und das Engagement der Mitarbeitenden zu mobilisieren. Die Beschäftigten wiederum müssen lernen, die im Arbeitsprozess anfallenden Daten souverän zu nutzen, etwa um Wissen effektiver zu teilen oder die Entwicklungsgeschwindigkeit zu erhöhen. Dieses Data Empowerment ist nicht einfach.

 

Das Lab geht bald in die Schlussrunde. Was sind Ihre wichtigsten Learnings?

Elisabeth Vogl: Der Umgang mit Transparenz ist ein komplexer sozialer Aushandlungsprozess, den man moderieren muss. Dieser Prozess muss eingebettet sein in ein klares Vorgehensmodell, das alle Parteien – Management, Beschäftigte und Mitbestimmung – aktiv einbindet. Es braucht eine belastbare Vertrauenskultur, die vor allem durch klare Regeln und Prozesse sowie verbriefte kollektive Mitbestimmungsrechte entsteht. Und es erfordert die Bereitschaft, etablierte Denk- und Kulturmuster zu hinterfragen. Es reicht nicht aus, den Menschen ein Tool an die Hand zu geben in der Hoffnung, dass sie damit automatisch souveräner mit Daten umgehen können. Wer einen nachhaltigen Umgang mit Transparenz etablieren will, muss die Mitarbeitenden aktiv einbeziehen und konsequent empowern.

 

“Wer einen nachhaltigen Umgang mit Transparenz etablieren will, muss die Mitarbeitenden aktiv einbeziehen und konsequent empowern.”

Elisabeth Vogl

 

Elisabeth Vogl

Elisabeth Vogl

ist Wissenschaftlerin am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München e.V. Sie beschäftigt sich aus arbeits- und industriesoziologischer Perspektive mit dem Wandel von Unternehmen in der digitalen Transformation. Ihr Fokus richtet sich dabei auf die Öffnung von Innovations- und Wertschöpfungsstrategien sowie deren Implikationen für die Beschäftigten und die Organisation von Arbeit.