Deep Dive: Wie sich Inverse Transparenz in der Praxis umsetzen lässt
Datensouveränität technisch umzusetzen bedeutet vor allem, Menschen vor intransparenten Systemen zu schützen. Inverse Transparenz steht für eine neue Art der Systemgestaltung, welche die Daten, deren Verarbeitung und ihre Nutzung sichtbar macht. Im Rahmen des Projekt entwickelte die TU München eine Rahmenarchitektur und Werkzeuge für die praktische Umsetzung Inverser Transparenz, die in die Projektmanagement-Software Jira implementiert werden können.
Hinter Framework und Tools steht mit Transparency by Design ein neuer Entwicklungsansatz. Er zielt darauf, in der Softwareentwicklung Transparenz über die erhobenen Daten und ihre Nutzer von Anfang an als qualitätssteigerndes Feature zu berücksichtigen, statt sie erst im Nachhinein abzusichern. Eine entscheidende Voraussetzung hierfür ist es, Daten direkt dann, wenn der Zugriff passiert, mit Blick auf die Zugriffseinwilligungen zu verifizieren und fälschungssicher zu protokollieren. Erst danach können Instrumente greifen, die beide Aspekte Inverser Transparenz technisch umsetzen: zum einen die Analyse, wer zu welchem Zweck die protokollierten Daten genutzt hat, zum anderen die Befähigung, die aus diesen Daten generierten Informationen für definierte Anwendungen zu nutzen.
Das vom Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM) entwickelte und im Rahmen des Betrieblichen Praxislaboratoriums der Software AG erweiterte und erprobte System wird als Plugin direkt in die Projektmanagement-Software Jira implementiert, mit der die Entwicklerinnen und Entwickler ihre kollaborative Zusammenarbeit in agilen Teams organisieren. Jede Zugriffsanfrage an die Jira-Datenbank wird von einem Monitor „abgefangen“ und an einen so genannten Overseer weitergeleitet, eine Überwachungsinstanz, die die Anfrage mit den Zugriffseinwilligungen abgleicht. Gibt der Overseer grünes Licht, lässt der Monitor den Zugriff zu und protokolliert ihn automatisch.
Neue Gadgets für neue Anwendungen
Zwei im Rahmen des Praxislabs entstandene Anwendungsszenarien zeigen exemplarisch, wie diese Rahmenarchitektur aus Monitor und Overseer um Tools erweitert werden kann, die sowohl das Grundprinzip Inverser Transparenz „Watch the Watcher“ umsetzen als auch über neue Funktionalitäten Dateneigentümern und Datennutzern neue Anwendungen ermöglichen, zum Beispiel zur Verbesserung von Arbeitsprozessen und Wissensaustausch. Im ersten Szenario, der „Expertensuche“, könnte ein solches Gadget Beschäftigten ermöglichen, unter bestimmten thematischen Stichworten nach Mitarbeitenden mit einer speziellen Expertise zu suchen, die bei der Bearbeitung eines Vorgangs unterstützen könnten. Jede dieser Suchanfragen läuft zunächst über den Monitor und den Overseer, bevor das System den Zugriff zulässt, ihn protokolliert und die gewünschte Liste möglicher Anspechpartner und -partnerinnen zur Verfügung stellt.
Das zweite Szenario verankert explizit das Prinzip „Watch the Watcher“ im System. Es versetzt den Datensouverän in die Lage, anhand der Informationen, die der Overseer nach dem Abgleich der Daten zur Verfügung stellt, den Weg der Datennutzung bis zu der Person zurückzuverfolgen, die den Zugriff vorgenommen hat. Aus diesem Gadget ist im Rahmen des Praxislaboratoriums inzwischen ein konkreter Use Case entstanden. Mit der so genannten Selbstauskunft können Beschäftigte für einen definierten Zeitraum nicht nur nachvollziehen, wer ihre Arbeitsdaten abgerufen hat, sondern auch unter welchen konkreten Fragestellungen zum Beispiel eine Führungskraft diese Daten ausgewertet hat.
Adaptionsfähiger Prototyp
Egal, welche Nutzungsmöglichkeit kreiert wird, welche Gadgets implementiert werden und welche spezifischen Anforderungen eine potenzielle Anwendung mit sich bringt: Der Prototyp kann hieran angepasst werden. Monitor und Overseer sind dabei als feste Komponenten immer im System inkludiert. Dass es in einer Jira-Umgebung nicht nur gut funktioniert, sondern auch ausbaufähig ist, hat das Praxislab gezeigt. Erprobt wird das System mit Hilfe von repräsentativen Trainingsdaten – Arbeitsdaten, welche die Software AG in einem Jira-Spiegelsystem zur Verfügung stellt und die nicht mehr produktiv genutzt werden. In diesem Rahmen können nun abhängig von einer konkreten Nutzenanalyse und unter Berücksichtigung der organisationalen Rahmenbedingungen weitere Adaptionen entwickelt, auf ihre Machbarkeit geprüft und gegebenenfalls auch breiter im Unternehmen ausgerollt werden, die das Konzept der Inversen Transparenz in die betriebliche Praxis bringen.
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